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Der Berliner Autor, Regisseur und deutsche David Lynch Achim Bornhak, auch bekannt als Akiz, erzählt vom Leben als Künstler in Quarantäne, zukünftigen Filmprojekten und die Angst vor dem „perfekten Kunstwerk“. Die derzeitige Entschleunigung nutzt er, um seine Arbeiten als Bildhauer und Fotograf fortzuführen. Wie empfindest du die aktuelle Zeit mit Ausgangsbeschränkung? Siehst du deine künstlerische Freiheit eingeschränkt oder inspiriert dich diese Situation?

Weder noch, Menschen haben zu allen Zeiten und an allen Orten Kunst gemacht, im Krieg, im Gefängnis, genauso wie in Zeiten der Dekadenz und des Überflusses. Inspiration halte ich für eines der größten Mythen, die es gibt. Ich glaube nicht an Inspiration, oder mit anderen Worten ausgedrückt: Ich fühle diesen Zustand, den wir „Inspiration“ nennen zu jeder Zeit gleich. Gedanken und Ideen für Kunstwerke hat man immer, das ist ein andauernder Strom, der nicht abreißt, ich fühle mich nie von der „Muse geküsst“, oder „uninspiriert“. Die einzige Frage, die sich mir als Künstler stellt, ist, ob ich mir die Zeit nehme, oder mir die Mühe mache, beziehungsweise die Anstrengungen auf mich nehme, diesem oder jenem Gedanken oder Idee nachzugehen und Ausdruck zu verleihen. Das hat aber nichts mit Inspiration zu tun, sondern ist schlichtweg und ausschließlich eine Frage des Kraftaufwandes. Wenn ich nur Filmregisseur wäre, würde ich diese Krisenzeit gerade aber sicherlich als eine Beschränkung empfinden, weil man momentan einfach nicht drehen kann, aber ich male, zeichne, schreibe, fotografiere, oder arbeite als Bildhauer, das geht alles auch in Isolation. Ich empfinde die aktuelle Zeit als sehr, sehr spannend. Ich lebe in absoluter Quarantäne, schreibe von morgens bis abends, kümmere mich um meine beiden alten Eltern und genieße die verlangsamte Zeit. Auch wenn es zynisch klingen mag, aber ich genieße diesen Ausnahmezustand in vollen Zügen, mir war dieser allgegenwärtige Lebensstil der Menschen, „Schneller, höher, weiter, mehr, mehr, mehr“ suspekt und zuwider. Jede Krise ist eine Chance und wenn wir es richtig angehen, könnten wir aus dieser Krise etwas lernen.


Dem Hund aus deinem neuen Roman ist eine solch isolierte Situation auch nicht fremd. Er gibt sich seiner Leidenschaft, der Küche, bis zum Exzess hin. Inwieweit ist dir dieses Versinken in einer Materie bekannt und empfindest du das als bedrohlich?

Die Suche nach dem „perfekten Kunstwerk“, (oder in seinem Fall der „ultimative Geschmack“) kenne ich nur zu gut. Das ist wie eine üble Droge, oder eine Sucht, die alles mit sich in den Abgrund reißen kann, wenn man nicht aufpasst. Ich finde es aber nicht als Bedrohung, sondern ein Geschenk. Ich würde nicht mehr leben wollen, wenn ich dieses Geschenk, oder die Gabe Geschichten zu erzählen, oder Kunst zu machen wieder hergeben müsste.

Hast du dein Buch „Der Hund“ aus einer filmischen Warte heraus geschrieben? Wie würdest du dir eine Verfilmung dieses Stoffes vorstellen?

Schwer  zu sagen. Die Ebene des Geschmacks wäre sicherlich eines der interessantesten Aspekte daran. Ich will aber noch nicht viel darüber reden, denn die Rechte an der Geschichte sind gerade verkauft worden und ich arbeite momentan an der filmischen Umsetzung.

Deine Beschreibungen wirken sehr plastisch und greifbar. Mir kam bei der Lektüre oft David Lynch in den Sinn, vor allem seine metaphysische Herangehensweise in der neuen Staffel Twin Peaks. Welche Künstler haben dich besonders beeinflusst?

Lynch steht mit Sicherheit ganz oben auf der Liste, meine Tochter heißt nicht durch Zufall Lula. Dann natürlich auch Tarkowski, Buñuel und Kubrick, Trakl, Benn, aber an oberster Stelle steht William Blake. Als ich zum ersten Mal in der Tate Galerie in London seine Originale gesehen habe, stand ich davor und mir sind die Tränen gelaufen als gäbe es kein Morgen und ich konnte nichts dagegen tun. Das war mir sehr peinlich und ist mir bis dahin und auch danach nie wieder passiert.


Dein Durchsetzungsvermögen und dein Wille, deinen Film „Der Nachtmahr“ zu veröffentlichen, haben mich sehr inspiriert, meine Liebe zum Film nicht aus den Augen zu verlieren. Was würdest du jungen Künstlern und Autoren als Rat mit auf den Weg geben? Niemals auf andere warten. Niemals warten. Unter keinen Umständen. Nimm dir dein Handy und dein Laptop und ruf die Leute an und leg am kommenden Wochenende los. Warte nicht darauf, bis irgendein Idiot dein Drehbuch verstanden hat und seinen Geldbeutel aufmacht, das geht auch alles ohne. Die Drehorte liegen auf der Straße, solange Strom durch die Glühbirnen an der Decke fliest und die Sonne scheint, kann man drehen. Jedes IPhone hat eine 100mal höhere Auflösung als alles, was Godard oder Truffaut damals auf der Schulter hatte. Und ganz wichtig: Lass dir von niemandem erzählen, wie es geht, sondern höre auf deine eigene Stimme.

Mit welchen Schauspielern und Künstlern hast du besonders gerne zusammengearbeitet? Eigentlich mit allen. Es gab nur sehr, sehr selten anstrengende Typen mit denen ich nicht mehr zusammen arbeiten würde. Ansonsten war es immer ein Fest, dass wie jedes Projekt leider immer irgendwann zu Ende ging.




Was wird dein nächstes Projekt sein und woran arbeitest du gerade? Ich arbeite an vielen Dingen gleichzeitig. In diesen Tagen ist es konkret ein neuer Roman, parallel dazu Vorbereitungen für meinen neuen Film, den ich hoffentlich bald nach der Corona-Krise angehen kann. Ich schreibe zwei Drehbücher zu Ende und ich baue gerade eine Kamera. Ich habe verschiedene Einzelteile von alten Kameras besorgt und schraube sie gerade zusammen. Und dann bin ich schon seit längerem damit beschäftigt, große Betonreliefs zu bauen. Das braucht mehr Zeit, als ich dachte, aber ich hoffe, noch Ende des Jahres oder spätestens nächstes Jahr für eine erste Ausstellung fertig zu sein.


Deutsche kicken in der gefährlichsten Favela Rios


Von Tobias Käufer, Rio de Janeiro



Ein Fußballspiel zwischen Deutschen und Brasilianern reißt am 25. Jahrestag der Wiedervereinigung in einer berüchtigten Siedlung Rios Mauern des Misstrauens ein. Unser Autor steht im Tor.

Bernhard Weber alias „MC Gringo“ liebt den authentischen Auftritt. Also entscheidet er sich, zum von ihm organisierten Fußballspiel in Rio de Janeiros berüchtigter Favela „Complexo do Alemão“ mit der urbanen Seilbahn anzureisen. Das Auto bleibt ein paar Blocks weiter unten stehen. Er und seine deutschen Mannschaftskameraden sollen genau so ankommen, wie es die Bewohner der Favela auch gewohnt sind. Es sind die Stunden der kleinen Gesten mit großer Wirkung, mit denen ein Stuttgarter Musiker, der seit mehr als einem Jahrzehnt in einer der vielen Favelas wohnt, versucht, eine Brücke zu schlagen.

Es ist der Tag der Deutschen Einheit, und weil das irgendwie passt, hat „MC Gringo“ das Motto seines Freundschaftsspiels zwischen Deutschen und Brasilianern unter das Motto „Mauern einreißen“ gestellt. In dem „Bereich des Deutschen“, wie das Armenviertel übersetzt heißt – weil früher hier einmal ein Pole wohnte, den sie fälschlicherweise für eine Deutschen hielten –, sind Deutsche nahezu unbekannt. Sie trauen sich nicht hierher.

Selbst die „Cariocas“ wie Rios Einwohner gerufen werden, machen einen weiten Bogen um das wegen der Gewalt und Kriminalität gefürchtete Viertel, in der sich Drogengangs einen unendlich scheinenden Kampf mit der Polizei liefern. Einschusslöcher in den Häuserwänden zeugen von den Wunden, die dieser Krieg gerissen hat. „MC Gringo“ hat eine bunte Truppe aus Deutschen zusammengestellt, die in Brasilien leben, arbeiten oder gerade zu Besuch sind. Journalisten, Touristenführer, Unternehmer. Sie sollen die Vorhut sein für das, was irgendwann einmal kommen soll. Ein reger kultureller Austausch, zumindest ist das die Wunschvorstellung des schwäbischen Samba-Musikers.



Sie alle waren am Abend zuvor noch beim offiziellen Empfang anlässlich des 25. Jahrestages der deutschen Einheit in die Residenz des deutschen Generalkonsuls in Rio de Janeiro eingeladen. Doch größer könnten die Kontraste innerhalb von nicht einmal 24 Stunden kaum sein. Auf dem beeindruckenden Anwesen wartete neben Frikadellen, Bratwurst, Sekt und Weizenbier auch ein bisschen Eigenwerbung auf die edel gekleideten Gäste. Hamburg wird als kommende Olympiastadt beworben, Stabhochspringer Björn Otto mischt sich unter die Gäste, die riesige Terrasse mit herrlichem Blick über die ganze Stadt ist im Stile einer „olympischen Nacht“ geschmückt. Die Deutschen mit Einfluss in Politik, Sport, Medien und Wirtschaft sind hier unter sich.


Einen Tag später sind die Voraussetzungen ganz andere: Hier gibt es keine Visitenkarten, sondern Umarmungen, „Abracos“, wie die Brasilianer sagen. Hier bilden die Nachbarn eine Samba-Band, und die Menschen brauchen keinen hippen DJ, der trotz aller Mühen eine überwiegend in Schwarz gekleidete weiße Gästeschar kaum zum Tanzen bringen kann. Und Schwarz ist hier die Farbe der Menschen, nicht der Anzüge.

Fußball spielen, um die Angst zu besiegen, hat sich „MC Gringo“ in den Kopf gesetzt. Es sollen endlich auch einmal Ausländer und ganz besonders die Deutschen in die Favela kommen und sich ein Bild von der Lage dort machen: „Am liebsten möchte ich, dass wir eine deutsche Mannschaft gründen, die den „Complexo do Alemão“ als ihre Heimat adoptiert.“ Das klingt verwegen. Aber das war die Idee hinter dem Spiel am Tag der Deutschen Einheit.


Reiche warnen Ausländer

„MC Gringo“ hat im Konsulat Journalisten, Unternehmer, Diplomaten, sogar einen deutschen Kriminalkommissar zum Fußball in der Favela eingeladen. Viele sagen zu, scheinen begeistert, gekommen ist dann nur einer: Filmregisseur Achim „Akiz“ Bornhak aus Berlin („Das wilde Leben der Uschi Obermaier“) ist wegen des Internationalen Filmfestivals in der Stadt und stellte am Abend vor dem Spiel seinen Film „Der Nachtmahr“ vor. Jetzt steht er an der Seitenlinie des Spielfeldes und saugt die Momente in sich auf: Die Farben der Favelamauern, das Lachen der Kinder, Klappern der Stiefel der Militärpolizei, die das Spielfeld bewacht. „Ich bin erschlagen von diesen Bildern und diesen Eindrücken“, sagt Bornhak und filmt alles, was ihm vor die Linse kommt.


Meist kommen die wohlhabenden Ausländer mit den Favelabewohnern nur an den berühmten Stränden Copacabana, Ipanema oder Leblon in Kontakt. Es gibt zwar „Favelatouren“, doch die führen fast ausschließlich in Vorzeigefavelas wie Santa Marta. Ein wirkliches Gespräch mit den Vermietern von Strandkörben, Eisverkäufern oder Bettlern kommt an den Stränden nie zustande. Nun ist es genau umgekehrt: Die Deutschen gehen dorthin, wo die Favela-Bewohner zu Hause sind. Dorthin, wo die Seilbahn bei Sonnenuntergang ihren Betrieb einstellt und die Sicherheitsgitter hinuntergelassen werden. Dorthin, wo ein Ausländer niemals hingehen sollte, wie es die reichen Bewohner Rios immer wieder sagen.


Gespielt wird auf einem Betonplatz unterhalb der Seilbahnstation Baiana. „MC Gringo“ hat die Partie vorher bei der Polizei angemeldet, ohne Vorankündigung geht hier gar nichts. Die zuständige lokale Polizeistation der Befriedungstruppe UPP hat insgesamt acht Beamte geschickt. Alle tragen schusssichere Westen und sind schwer bewaffnet. Das Bild passt nicht so recht zur friedlichen Atmosphäre des Nachmittags, doch in der Woche vor dem Spiel wurde ein Polizeibeamter bei einer Schießerei getötet.


Zuletzt kam es im reichen Süden der Stadt zu heftigen Auseinandersetzungen. Heranwachsende aus den Favelas hatten zu Dutzenden Jagd auf einheimische und ausländische Touristen gemacht. Doch wie vor der WM bekämpft Brasiliens Politik nur die Symptome, nicht die Ursachen der Kriminalität, wie soziale Ungerechtigkeit und Arbeitslosigkeit. Stattdessen droht eine weitere Eskalation der Lage, auch durch linksradikale Gruppen.


Wir sind Menschen und keine Monster

Wegen dieser Unruhen ist es ein kleines Wunder, dass das Spiel stattfinden kann. Die Gastgeber geben sich besondere Mühe. Mit einem Besen schrubben sie minutenlang vor dem Anpfiff das Regenwasser vom Betonplatz, die Deutschen sollen nicht ausrutschen. Sie wollen gute Gastgeber sein für diejenigen, die eine unsichtbare Mauer am Tag der Deutschen Einheit durchbrechen wollen. Genau diesen Gedanken nimmt „MC Gringo“ auf.

Er schnappt sich das Mikrofon der lokalen Sambaband. „Ihr wolltet es nicht glauben, aber wir sind gekommen“, sagt er, und die Brasilianer klatschen begeistert. „Für uns war das mehr als nur ein Spiel“, sagt Rangell, der Organisator auf brasilianischer Seite. „Für uns war das eine Geste, dass der Rest der Welt sich für uns interessiert. Dass sie sehen, dass wir Menschen sind wie ihr und keine Monster.“

Dann wird Fußballball gespielt, zweimal 20 Minuten. Mehr als 200 Spieler hatten sich im Vorfeld für die „brasilianische Auswahl“ des „Complexo do Alemão“ beworben, heißt es. Am Ende sind es acht, die in schmucken gelben Trikots spielen. Gespendet hat die Hemden dem Vernehmen nach Adriano Leite Ribeiro, Welttorjäger 2005 und ein Kind der Favelas von Rio de Janeiro. Wegen der angespannten Lage nach dem Polizistenmord sind die Tribünen nur halb gefüllt. Es sind hart umkämpfte, aber ausgesprochen faire 40 Minuten. Nicht ein einziges Mal wird Foul gespielt, einen Schiedsrichter gibt es nicht. Zwischenzeitlich droht den Deutschen ein kleines Debakel, doch nach einem 6:11-Rückstand kämpft sich „Alemanha“ noch einmal zurück. Am Ende steht es 12:12, unentschieden. Ein perfektes Ergebnis für diesen Tag.

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