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Ein zungengesteuertes Wesen

Er macht aus Müll kulinarisches Gold: Mit rauschartigen Geschmackserlebnissen zaubert sich die Hauptfigur des Romans "Der Hund" von Filmemacher Akiz in die Haute Cuisine. Schmeckt nicht jedem.


"Meine Synapsen warfen schillernde Blasen wie silbriges Kerosin", beschreibt der Erzähler, als er das Amuse-Gueule nach Dienstschluss in der Dönerbude zum ersten Mal kostet. Kredenzt wird es von seinem Kollegen - einem Mann von der Straße. Dessen Talent: Er kann selbst aus Müll kulinarisches Gold machen. Im Verlaufe des Romans steigt er zum Starkoch auf.

Wer er ist, weiß keiner so richtig. Alle nennen ihn nur "den Hund". Der Erzähler trifft ihn eines Nachts in einer Unterführung: fettige Bomberjacke, die Augen "klein wie Stecknadeln", das Gesicht "fiebrig, gierig, fast schon pervers". "Der Hund" wirkt "abartig" und nicht gerade appetitlich. Mehr schon wie ein Straßenköter. Manche Leute sagen, dass er aus dem Kosovo kommt. Aufgewachsen sei er in einem Erdloch ohne Licht. Durch eine Luke kamen ab und zu Brotreste und Kartoffeln. Sein einzig sinnlicher Außenkontakt also: Essen. In jenem Verlies soll "der Hund" mutiert sein, zu einem Zungen-gesteuerten Wesen.

Sein erstes Werk entsteht zwischen verkrusteten Bratfettkästen. Zusammen mit dem Erzähler verkauft er jeden Abend Köfte und Börek. An einem Abend kokelt "der Hund" gedankenverloren vertrocknete Brotrinde in der Pfanne an, dazu bröselt er Tabak. Als der Erzähler probiert, passiert es: Sein Körper scheint sich wie in einem Rausch aufzulösen. "Friedliche, lähmende, morphiumartige Stille legte sich auf meine Seele".


Der Erzähler wittert eine Geschäftsidee. Mit ihm zusammen schafft es "der Hund", in der Küche eines der nobelsten Restaurants der Stadt anzuheuern. Doch im Verlaufe des Romans scheint sein Talent immer mehr außer Kontrolle zu geraten. Essen wird zum tierischen Geschmacksorgasmus, "der Hund" zu einer bedrohlichen Schimäre.


Die Figur ist damit kein Einzelfall bei Akiz. Bekannt wurde der Autor, der bürgerlich Achim Bornhak heißt, als Regisseur. Unter anderem durch seinen Film "Der Nachtmahr": einer Geschichte um ein Mädchen, das sich von einem Monster - halb Embryo, halb Tier - verfolgt sieht. Der Film bekam keine öffentliche Förderung. Horror, Thriller, Fantasy, kein Genre schien so richtig auf ihn zu passen. Und auch sein Erstroman scheint sich in kein Muster so recht zu fügen.


Der "heilige Tempel" der Restaurantküchen öffnet sich bei Akiz als surreale Parallelwelt, in der sich Spitzenköche mit Messern Kokain zwischen die abgenutzten Stummelzähne schieben. Akiz hält sprachlich drauf auf die tägliche Arbeit im Restaurantbetrieb. Hinter der Tür sieht man "die schwitzenden Titten der Frau hinter dem Herd und die nikotingelben Achseln der Gabelstaplerfahrer in den Großlagerhallen". Dazwischen hetzen "bis zu den Haarspitzen mit billigen Chemikalien vergiftete Köche". In so plastischen Bildern wuchern bei Akiz selbst harmlose Diners zu derben Fressorgien, in denen Menschen "nackt und schutzlos" versuchen, "Luft in ihre Lungen zu pumpen".


Die Perspektiven wechselt Akiz oft nahtlos. Dadurch entstehen Schnitte, die auf Papier nicht immer plausibel wirken. Normalerweise spricht der Icherzähler-Kollege und selbsternannter Bruder "des Hundes" - in der Rolle eines Außenbeobachters. Dazwischen berichtet er plötzlich von intimen Telefongesprächen des Chefs. Wie viel der Erzähler weiß, ist bis zum Ende unklar. So wie auch "der Hund" als Figur sich durch seine Erzählung immer mehr zur Legende verwischt.


Gerade in dieser Unbestimmtheit liegt aber auch eine der Stärken des Romans: In der Geschichte finden sich Fantasy- wie auch Horrorelemente, dazu teilweise fast karikaturhaft überzeichnete Figuren wie Souschefin Lily, "ein Ex-Junkie mit platinblonden Haaren und nikotingelben Augen" oder der Restauranttester: "impotent, pedantisch und verklemmt wie ein schlecht geöltes Türschloss". Derart sinnliche Passagen schmecken nicht jedem. Aber "Der Hund" ist eben auch kein Buch nach Standardrezept.


Von Isabel Metzger

05.02.2020, 16:01 Uhr

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