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DerStandard on "Der Nachtmahr"



In “Der Nachtmahr” erschafft der Filmemacher und Künstler Akiz ein unheimliches Wesen, das eine junge Frau heimsucht. Ein Gespräch über digitale Geburten, ikonografische Bilder und den neuen Schrecken

Wofür dieses Wesen steht, das eines Nachts auftaucht und zum ständigen Begleiter der 16-jährigen Tina (Carolyn Genzkow) wird, ist nicht klar. Doch die junge Frau wird den Nachtalb nicht mehr los – bis sie beginnt, die hässliche Kreatur zu akzeptieren. Der Nachtmahr ist der erste Teil des filmischen Triptychons Geburt – Liebe – Tod des deutschen Künstlers Akiz. Ein Film, der davon erzählt, dass es am schwierigsten sein kann, sich selbst zu lieben.


STANDARD: Ihr Film beginnt mit einer Urszene. Man sieht eine junge Frau mit ihrem Mobiltelefon spielen und das Foto ihrer Freundin Tina, der Hauptfigur, zu manipulieren, als das Wesen plötzlich am Display auftaucht. Tina und das Wesen erleben eine Verschmelzung. Ist diese Metamorphose eine Art von Geburt?


Akiz: Es ist eine Geburt, weil man den Nachtmahr hier zum ersten Mal sieht, und das fötushafte Aussehen des Wesens legt eine sol- che Interpretation auch nahe. Aber ich würde nicht sagen, dass es im Film prinzipiell um Geburt geht, obwohl das Motiv immer wieder aufgegriffen wird. Zum Beispiel wenn Kim Gordon als Lehrerin über William Blake und die Geburt des Schattens spricht. Aber ich wollte keinen Film drehen, der sich von selbst erklärt, denn gerade das ist ja das Verstörende. Wenn ich mir selbst einen Film ansehe oder ein Gemälde, möchte ich es auch nicht interpretiert bekommen. Die Quintessenz eines Kunstwerks zu erfassen funktioniert für mich wie der Rohrschachtest.


STANDARD: Es ist aber sicher kein Zufall, dass dieses erste Erscheinen in Form eines digitalen Bilds geschieht?


Akiz: Die Kommunikation zwischen den Menschen ist heute digital. Ich will das nicht als gut oder schlecht beurteilen, aber es ging mir darum, dieser Lebenswelt so nahe wie möglich zu kommen.


STANDARD: Der Begriff Nachtmahr steht für Albtraum, aber auch für den Nachtalb. Ihr Film spielt mit beiden Bedeutungen.


Akiz: Ich dachte eher an das Wesen, das einem nachts auf der Brust sitzt. Der “Mahr” ist ein altes, beinahe vergessenes Wort. Der Titel ist ein wenig irreleitend, denn er suggeriert einen Horrorfilm. Doch ich denke nicht, dass man als Zuschauer bei diesem Film im Kino die ganze Zeit Angst hat. Das war nie meine Absicht. Zu Beginn wird eine gefährliche Stimmung erzeugt, die jedoch nie gesteigert wird. Es geht vielmehr darum, wie sich das Verhältnis zwischen der Frau und dem Wesen umdreht: Die Kreatur wird ein Teil von ihr. Das hat für mich weniger mit Horror zu tun als mit dem Gegenteil.


STANDARD: Die zwei Seelen in einer Brust zu akzeptieren?

Akiz: Der Horror und die Schönheit sind überall.


STANDARD:

Sie haben die Kreatur ja auch entworfen. Wie kam es dazu?


Akiz: Der erste Entwurf entstand 2001. Eine Skulptur aus Steinguss, eine Mischung aus Embryo und Greis. Dann habe ich Gelenke und Kabelzüge eingebaut, eine neue Oberfläche kreiert und sogar eine Atmung – bis ich plötzlich zum ersten Mal an eine Filmszene dachte, in der die Kreatur neben einem Mädchen im Auto sitzt.

STANDARD: Die Gestalt weckt Assoziationen zu Füsslis “Nachtmahr”-Gemälde.

Akiz: Von diesem Gemälde bezieht der Film auch seinen Titel, aber das Füssli-Bild hat etwas Sexuelles, das ist bei mir nicht das Thema. Es ist ein ikonografisches Bild, so wie Che Guevara oder Mari- lyn Monroe. Aber ich habe Füssli tatsächlich erst wahrgenommen, als ich die Figur schon entworfen hatte.


STANDARD: Wofür steht das Wesen?

Akiz: Ich möchte meine Interpretation für mich behalten. Sie ist sehr banal, und es freut mich, wenn andere etwas für sich entdecken. Ob es das Unterbewusste ist oder eine ungewollte Schwangerschaft. Ich habe sogar gehört, dass es für Bulimie stehe oder für ein Wesen aus dem Totenreich, das eine lebende Seele zu sich holt.

STANDARD: Das erinnert wiederum an das Blake-Gedicht, das die Schüler interpretieren sollen und das nur Tina aus rein persönlicher Sicht erklären kann.

Akiz: Ich muss zugeben, dass ich dabei wahllos in die Gesammelten Werke gegriffen habe – und es hat wunderbar gepasst. Aber ich wollte kein Leitmotiv für den Film, mit dem man sich als Zuschauer dann die ganze Zeit beschäftigt.


STANDARD: Tina ist das Kind reicher Eltern und wächst in bürgerlichen Verhältnissen auf. Welche Rolle spielt dieses Milieu, das den Hedonismus der Clique erst erlaubt?

Akiz: Meine Ideen haben nur Sinn ergeben, wenn die Geschichte in genau einem solchen Milieu spielt. Es ist ein Leben, in dem sich Tag und Nacht auflösen. Tina entwickelt zunehmend ein Gefühl von Peinlichkeit, die ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl bewirkt. Sie hat eine Freundin, an die sie sich jedoch nicht wenden kann. Ich würde diese Freundschaften nicht als intime, menschliche Bindung bezeichnen. Das Hauptproblem sind ihre Eltern, wobei mir wichtig war, dass sie nicht als böse gezeichnet werden. Sie wollen helfen und reagieren dennoch mit purer Hilflosigkeit.


STANDARD: Das Ende des Films gleicht einem Befreiungsschlag.

Akiz: Ich sehe Tina als eine Kriegerin, die sich durch eine multimediale Welt kämpft. Am Ende ist es egal, was passiert – es wird nicht mehr so schlimm sein wie vorher. Sie erreicht wie bei einem Computerspiel ein neues Level.


STANDARD: Es gibt im europäischen Genrekino ein neues Interesse für den Schrecken. Ist “Der Nachtmahr” einem gesellschaftspolitischen Klima der Eingrenzung und Aussperrung geschuldet?

Akiz: Ich denke, das sind zwei verschiedene Dinge. Die Entwicklung des Genrekinos ist auch eine technische. Es sind heute mit der neuen Technik Dinge möglich, die vor ein paar Jahren noch undenkbar waren. Das hat aber noch nichts Politisches an sich. Die politische Dimension meines Films zu beurteilen, halte ich für schwierig. Ich habe in verschiedenen Teilen der Welt gelebt, sehe Gutes und Schlechtes. Meine künstlerischen Wurzeln erkenne ich am ehesten im Expressionismus der 1920er-Jahre. Da war ein radikaler Geist zu spüren, und es ging um archetypische Themen. Wenn Der Nachtmahr als europäischer Film mit neuem Geist bezeichnet wird, dann ehrt mich das. 


Michael Pekler, 21.10.2015


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