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DIE ZEIT on "Der Nachtmahr"


Ein feiersüchtiges Mädchen trifft einen seltsamen Alb. Der Film “Der Nachtmahr” des Künstlers Akiz ist eine rauschhafte Coming-of-Age-Geschichte.

Von Kaspar Heinrich


Noch bevor Der Nachtmahr beginnt, erscheinen Warnhinweise auf der schwarzen Leinwand: Blinkende Lichter, isochronische Töne und binaurale Frequenzen könnten gesundheitliche Probleme auslösen, epileptische Anfälle. Doch dann heißt es lapidar: “Wie auch immer … dieser Film sollte laut abgespielt werden!” Wir werden in eine basslastige Partynacht geworfen, in die Welt der feierwütigen Wohlstandsjugend. Am Poolrand tanzt man in zuckenden Lichtern, mittendrin die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow). Für sie und ihre Freundinnen reihen sich die stroboskopisch-fiebrigen Nächte aneinander. Ausbrüche aus dem behüteten Familienalltag in den Berliner Vorstadtvillen.


Schon mit seinen ersten Bildern will Der Nachtmahr anders sein: heißblütiger, enthemmter, unmittelbarer als das, was man gemeinhin vom deutschen Kino kennt. Geschrieben und gedreht wurde das Mystery-Drama von einem Mann namens Akiz. Zweimal war er für den Studentenoscar nominiert, in den USA arbeitete er viele Jahre als Werbe- und Dokumentarfilmer sowie als bildender Künstler. Eine seiner Skulpturen ist der Nachtmahr. Schon vor 15 Jahren sei die Steingussfigur entstanden, erzählt der Künstler im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Das Kunstwerk entwickelte sich über die Jahre weiter: Akiz verpasste der Skulptur eine realistischere Oberfläche, später auch Gelenke. “Irgendwann stand ein Monster vor mir, ein bewegliches Wesen.”



AKIZ, mit bürgerlichem Namen Achim Bornhak, Jahrgang 1969, studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg. Sein Kinodebüt Das wilde Leben (2007) über Uschi Obermaier wurde für den Deutschen Filmpreis nominiert. Der Regisseur distanzierte sich anschließend von dem Film und arbeitet seither unter dem Künstlernamen Akiz. Sein Spielfilm Der Nachtmahr wurde beim Nachwuchsfilmfestival Max Ophüls Preis 2016 ausgezeichnet.


Im Film erscheint der Nachtmahr, diese nackte, betongraue Mischung aus Fötus und Greis, Tina in der Küche ihres Elternhauses. Entsetzt ergreift Tina die Flucht. Ihre Eltern nehmen die Angst der Tochter zunächst ernst, lassen am folgenden Tag das Haus von einem Sicherheitsdienst untersuchen. Allein, man findet nichts und erste Zweifel kommen auf. War alles nur ein Albtraum? Mitnichten: Fortan kommt der hässliche Dämon immer häufiger, leert den Kühlschrank oder sitzt stumm vor dem Fernseher. Nur Tina kann ihn sehen. Sie versucht zunächst noch, den unliebsamen Gefährten loszuwerden, findet sich aber bald mit dessen Anwesenheit ab. Schließlich keimt in ihr sogar stillschweigende Zuneigung zu dem friedlichen Alb auf.


Die Symbolik hinter dem als Monsterfilm getarnten Coming-of-Age-Drama ist leicht aufzulösen. Der phlegmatische Nachtmahr verkörpert all das, was sich das Mädchen auf der Schwelle zur Adoleszenz verbietet: den Mut zur Hässlichkeit, Kindlichkeit, Völlerei und Trägheit. Sichtbar für Eltern und Freunde wird er erst, als sich Tina zu dem lasterhaften Wesen bekennt.


Aufregend an diesem Film ist also weniger die Geschichte als vielmehr die Art, wie Akiz sie inszeniert. Lange musste er nach einem Kameramann suchen, der bereit war, seine bildästhetischen Vorstellungen umzusetzen: die fürs Kino ungewohnte Weitwinkelperspektive und der Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung. “Die Antwort war immer: ‘Das sieht nach nichts aus’”, sagt Akiz. “Ich habe dann entgegnet: ‘Das soll auch nach nichts aussehen.’” Künstliches Licht zu setzen empfindet er als ebenso anachronistisch wie Puder für die Schauspieler.


Fündig wurde Akiz in Person von Clemens Baumeister, der damals Ende zwanzig war und ein Neuling in Sachen Langfilm. Der ganz eigene, trancehafte Look von Nachtmahr und sein düsterer Elektro-Score korrespondieren nun wunderbar mit der somnambulen Geschichte, in der es stets um die Frage geht, was Wirklichkeit und was Einbildung ist. Dieses Thema sei der Ausgangspunkt seiner Nachtmahr-Figur gewesen, sagt Akiz. Sein erstes Foto der Skulptur hatte er in Marina del Rey aufgenommen, einem Marschland nahe L.A. Dieser Ort sei für ihn eine Nahtstelle zwischen zivilisierter Welt und Wüste gewesen, erinnert sich Akiz. Der Nachtmahr habe für ihn die Funktion des Pförtners übernommen.


Als Inspirationsquelle nennt Akiz vor allem die Werke des englischen Romantikers William Blake. Der Dichter und Maler ist ein Liebling der Beat-Generation und Popkultur, nicht zuletzt auch des Films: Zitate und Anspielungen finden sich etwa in Blade Runner oder in Jim Jarmuschs Dead Man.

Im Vergleich zu seinem ersten Kinofilm Das wilde Leben ist Der Nachtmahr zumindest finanziell ein Rückschritt. Weniger als 100.000 Euro hatte Akiz zur Verfügung. Doch der Regisseur empfindet die neu gewonnene Freiheit als Luxus. Er könne sich gut vorstellen, sein Leben lang nur noch solche Filme zu drehen. “Das eine war für mich eine Arbeit als Auftragsregisseur, das andere eine Arbeit als Künstler.” Kunst und Unterhaltung verhielten sich im deutschen Film wie Öl und Wasser, findet Akiz.


Mit Anfang zwanzig erlebte Akiz selbst einen solchen, als Epileptiker hatte er eine Nahtoderfahrung. “Man sieht sich da liegen, von außen”, erinnert er sich. “Es war wie der Eintritt aus einem Orbit in einen anderen.” So ähnlich sehe er den Nachtmahr: als einen Wanderer zwischen den Welten.

Der Film “Der Nachtmahr” des Künstlers Akiz ist eine rauschhafte Coming-of-Age-Geschichte.


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