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NUMERO Interview with AKIZ on sound and music.


Mit seinem Film Der Nachtmahr gelang dem Regisseur AKIZ eine Seltenheit: ein deutscher Genrefilm mit internationaler Strahlkraft. Was daran gelegen haben mag, dass er eher auf Geld verzichtete als künstlerische Kompromisse einzugehen. Was ihn seit Kindertagen verfolgt ist die spektakuläre Schlussszene von Steven Spielbergs Meisterwerk Unheimliche Begegnung der dritten Art.


Wir wollen über Steven Spielbergs Science-Fiction-Film Unheimliche Begegnung der dritten
Art sprechen, der 1977 ins Kino kam. Hast
du den als Kind im Kino gesehen?

AKIZ:

Ja, habe ich. Ich fand den Film damals fantastisch, auch wenn er im Rückblick ästhetisch recht konventionell gedreht wurde. Was mir aber schon damals durch Mark und Bein ging, war die berühmte Tonfolge g’ – a’ – f’ – f – c’, mit der die Außerirdischen Kontakt zu den Menschen aufnehmen. Ich habe mir die Wirkung dieser Töne lange nicht erklären können, und viele Leute getroffen, denen es ähnlich ging. Erst nach längerer Recherche habe ich herausgefunden, dass die Tonfolge auf der Plansprache Solresol des französischen Musiklehrers François Sudre basiert.


In dieser von Sudre Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten Sprache bedeutet die Tonfolgeg’–a’–f’–f–c’: „Hallo“.

Ja genau! Es gibt eine Verbindung zu meinem jüngsten Film – Der Nachtmahr. Viele Menschen fühlen sich von dem Film berührt,
ohne erklären zu können, warum. Sie spüren allerdings, dass nichts daran willkürlich ist. So wie die Tonfolge in Unheimliche Begegnung der dritten Art nicht willkürlich, sondern mit Bedeutung aufgeladen ist. Diese zwingende Logik eines in sich stimmigen Codes haben auch die Filme von David Lynch. Die von Spielberg aufgegriffene Idee Sudres, über Farben, Gebärden und Töne zu kommunizieren, ist genial und hochgradig modern, hat sich aber nicht durchgesetzt, weil zu kompliziert.


Als die Aliens am Ende des Films auf dem
Berg Devils Tower landen, wird mit ihnen über eine Lichttonorgel kommuniziert,
die der deutsche Unternehmer und Erfinder Edwin Welte im Prinzip schon in
den 30er Jahren erfunden hat. Die Menschen spielen im Sopran, das Mutterschi 
der Aliens antwortet im Bass. Wenn man genau aufpasst, hört man einen Techniker sagen: „It seems like they are teaching us a basic
tonal vocabulary“. Dazu fällt mir der dümmste Satz der Filmbranche ein: „Die beste Filmmusik ist die, die man nicht hört“. So ein Quatsch. Das wäre so, als würde man sagen: der beste Schauspieler ist der, den man nicht sieht. Für mich ist Filmmusik so wichtig wie ein Hauptdarsteller oder die Kamera. Sie muss kein Bei- werk oder Teppich sein, sondern kann, wie im Nachtmahr, Teil der Handlung sein, aufgeladen mit Bedeutung.


Unheimliche Begegnung der dritten Art erschien 1977, als Jimmy Carter Präsident war und es ein kurzes Tauwetter zwischen den Großmächten gab. Auch im Film wird weder geschossen noch gedroht. Hast du diese Friedensbotschaft schon als Kind empfunden?

Ja, das habe ich, die war auch nicht zu übersehen. Doch etwas anderes war und ist mir wichtiger. Nach seiner ersten Begegnung mit den Außerirdischen hat Richard Dreyfuss, der Hauptdarsteller des Films, diese wiederkehrende Vision, die ihn beinahe in den Wahnsinn treibt. Man kennt das: etwas liegt einem auf der Zunge, aber man kommt nicht drauf. Darüber wird man wütend, aggressiv oder verzweifelt. Diese Not hat mich angesprochen, obwohl ich damals noch nicht in dieser Vehemenz Film oder Kunst gemacht habe wie heute. So geht es uns Menschen doch allen. Wir spüren, da ist ein Sinn, nach dem wir streben, etwas nach dem Tod. Aber was?! Das ist für mich als Künstler ein existentieller Antrieb.


Man spürt diese Schwelle auch im Nachtmahr. Man ahnt etwas, einen Zusammenhang, eine Logik, die einen unheimlichen Sog ausübt.

Auf jeden Fall. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Zuschauer die Fremdsprache Film immer besser deuten und in Zukunft Geschichten und Botschaften auf einem ganz anderen Niveau verstehen werden können. Jetzt ist es noch Avantgarde, in mehreren Schichten zu erzählen, doch es ist die Sprache der Zukunft.


Auch wenn Spielberg den konventionellen Blockbuster maßgeblich miterfunden hat, schwingt in Unheimliche Begegnung der dritten Art doch etwas von diesem Wissen um das mehrschichtige Erzählen mit.

Vor allem in der Findung der besagten Melodie, ja. Es wird nicht wirklich erklärt, woher die kommt. Auch nicht, was es mit den Außerirdischen auf sich hat. Heute ist es selbst jungen Produzenten schwer zu vermitteln, dass ein Film nicht alle Antworten auf alle Fragen geben muss, die er dem Publikum stellt. Spielberg ist eine Ausnahme im Blockbusterkino. Er ist ein großer Andrej-Tarkowski-Fan und war mit Stanley Kubrick befreundet, dem Meister des symbolischen Erzählens. Spielberg ließ dieses Wissen aber meiner Meinung nach nur in diesem einen Film anklingen.


In der Schlussszene wird Richard Dreyfuss von den Aliens ausgesucht, als Botschafter der Menschheit mit ins All zu reisen. Hattest du beim Anschauen des Films jemals das Bedürfnis dieser jemand zu sein?

Ich hatte seit meiner Kindheit eher das Bedürfnis, in der Zeit zu reisen. Ich kann mich an einen Satz in der Biographie von Luis Buñuel erinnern, in dem er sagt: Ach, das Sterben sei gar nicht so schlimm, wenn er alle 50 oder alle 100 Jahre aus dem Grab aussteigen dürfe, um sich am Kiosk die Nachrichten zu holen. Diesen Wunsch, zu wissen, wie es weitergeht, den kann ich sehr gut nachvollziehen. Es vergeht kaum ein Tag in meinem Leben, an dem ich mir nicht die Frage stelle, wie ein Ort in der Vergangenheit ausgesehen hat, wie er in der Zukunft aussehen wird.


Die Produzentin des Films, Julia Phillips, wollte die ganze Produktion über den Kameramann Vilmos Zsigmond entlassen, weil der plante, die letzte Szene am Berg mit extrem teuren Gegenlicht zu drehen und das Filmmaterial zu überblenden, um diesen auratischen Effekt zu erzielen. Spielberg hielt an ihm fest und Zsigmond gewann einen Oscar.

Bei Der Nachtmahr war es genau anders herum, denn ich hatte ja praktisch gar kein Geld. Außerdem versuche ich, so viel wie möglich mit natürlichem Licht zu drehen, und verwende ein extremes Weitwinkelobjektiv. Mir wurde gesagt, das ginge nicht, eine solche Ästhetik sei der deutsche Zuschauer nicht gewohnt. Aber, und hier bin ich ganz bei Spielberg, die Ästhetik an die Erwartungen der Produktion anzupassen, macht absolut keinen Sinn. Also musste ich eine Entscheidung treffen und ließ mich wiederum von David Lynch und dessen Produzenten Dino De Laurentiis inspirieren. Nach Dune sagte Lynch zu De Laurentiis: Ich möchte bei Blue Velvet Final Cut haben. Der sagte, den kannst du haben, wenn du mit der Hälfte des Budgets auskommst. Das war das letzte Argument, das ich habe: Minimiert euer Risiko, aber lasst mich bitte machen, wie ich denke. Also hat keiner bei Der Nachtmahr Geld bekommen, aber alle hatten Spaß und der Film wurde genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte.


Heute ist es anders als in Unheimliche Begegnung der dritten Art. Die Aliens sind immer böse, wollen die Welt zerstören. Warum ist das so?

Ich glaube, es war Sigmund Freud, der gesagt hat, die größte Angst des Menschen ist die Angst vor dem Unbekannten. Darum haben die Menschen auch solch eine Angst vor dem Tod. Aliens repräsentieren eben dieses Unbekannte, es ist einfach, sie als das Böse darzustellen. Das hat natürlich auch eine politische Dimension und bedient Urinstinkte. Der Quantensprung ist, und das war das Revolutionäre in Unheimliche Begegnung der dritten Art, das Fremde, also die Aliens, zum Guten zu machen. Dazu gehört Mut, das war visionär. Ich befürchte, wir als Gesellschaft sind noch längst nicht so weit.

Beitrag: Ruben Donsbach

Dieser Beitrag erschien in der Numéro Homme Berlin Nr. 5


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