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DER SPIEGEL on "Der Nachtmahr"




Der deutsche Regisseur AKIZ pfiff auf Fördergelder und drehte eine kompromisslose Horrorvision über einen Teenie, der von einem grauenhaft hässlichen Wesen verfolgt wird. Sinnlich, subjektiv, stark.


Tina will dazugehören, doch ihre Wirklichkeit kann sie nicht teilen. Nicht mit dem Typen, den sie mal abblitzen lässt, um ihn dann doch zu verführen; nicht mit den Freundinnen, mit denen sie im Diskolicht exzessiv ihren jungen schlanken Körper feiert.

Party, Schule, Chillen, das war bis vor Kurzem noch das Leben des wohlbehüteten Teenagers. Bis Tina (Carolyn Genzkow) die verrückten, eklig verformten Embryos auf einem Display sieht, des Nachts, in einer heiß ineinanderfließenden Montage, die mehr weiß, mehr ahnen lässt, als physisch möglich ist. Seitdem ist es bei ihr im Haus anders. Vor dem offenen Kühlschrank sitzt ein kleines, menschenähnliches, dunkles Viech und bedient sich maßlos. Es ist Nacht, Eierschalen liegen auf dem Küchenboden, dabei ist Tina gegen die doch allergisch.

Es könnte ein Albtraum sein, für das Mädchen ist es echter Horror. Später wird sie sich am Hals kratzen, ein Ausschlag macht sich breit. Der Therapeut hat Tina geraten, mit dem Viech zu sprechen. Das erfordert Überwindung, vielleicht auch, weil das Viech faszinierender ist, als Tina zugeben will. Gerade hat es noch die Küche verwüstet. Jetzt stehen Freunde vor der Tür, Bier und Papers in der Hand. Was tun? Lässt Tina das spontane Feierkommando hinein, in ihre Horrorwelt?


“Der Nachtmahr”, das ist schön sinnliche Teenage-Angst, verkörpert in der zarten-harten Jugendlichen Tina und in der Gestalt des Films. Der beginnt mit einer großen Party, die krassen Lichtkegel und Stroboskop-Blitzer verschlingen den Kinosaal. Regisseur AKIZ sucht das subjektive Erlebnis, das Abtauchen in diese Welt, auch wenn das nicht jedem wird möglich sein. So unangenehm und dreist die psychologische Störung Tinas ist - oder ist es doch eine fantastische Wendung? -, so nachvollziehbar ist ihre Flucht vor den Eltern, dem sozialen Druck und den halbechten Freundinnen.


AKIZ, mit bürgerlichem Namen Achim Bornhak, ist kein Newcomer, von ihm stammt die Uschi-Obermayer-Sause “Das wilde Leben”. Mit dem Pseudonym hat er sich aber eine neue Persona gegeben. “Der Nachtmahr” ist ein Film, der die bürgerliche Perspektive hinter sich lässt, um sie beinahe parodistisch umso besser zu verstehen. Die Welt der Erwachsenen ist piefig, unfair, statusgeil. Dem müssen die Jugendlichen entkommen, keine Frage. Oder sie setzen noch eins drauf.


AKIZ landet mit seinem Genre-Vergnügen gleichzeitig einen Horror-, Monster- und Jugendfilm. Weil er jede dieser Dimensionen ernst nimmt, fühlt sich der Film erwachsener an als viele aktuelle Dramen. Spaß bereitet nicht zuletzt, wie der Film verunsichern kann und doch alle Karten auf den Tisch legt. Der Embryo, der anfangs in der Handy-App mit Tinas Gesicht verschmilzt, er ist bildlich klar der Ausgangspunkt für ihre Visionen. Schon bald verwandelt sich das kurz in die Kamera gehaltene Foto auf dem Display in den dreidimensionalen Filmraum: “Der Nachtmahr” produziert nicht nur Schauer ob einer jenseits des Bildrahmens lauernden Gefahr, sondern zeigt das Monster, ausgiebig, leibhaftig.


Und so entpuppt es sich nach und nach als Sympathieträger, als empfindliches und empfindsames Wesen, das, egal wie laut und störend es ist, eher beschützt denn eliminiert gehört. Das Grauen des Viechs, das Tina dennoch belastet, geht vor allem von seinen penetranten Lauten aus, seinen Schreien, seinem Kratzen und Pochen. Tina hört es, schon von Weitem. Es lenkt sie ab, lenkt sie ins Private, in die Auseinandersetzung mit sich selbst.


Kino wie es deutsche Förder-Fernseh-Heinis nicht wollen

Horror- und Monsterfilme sind immer gut dafür, als Metaphern gelesen zu werden. Das fällt auch hier nicht schwer, steht aber der Anlage als Rausch- und Intimsterfahrung entgegen. “Der Nachtmahr” drängt, pocht, schwebt. Hinaus in die Welt und hinein ins Innere. Psychologie wird als externes Erlebnis anschaulich, genauso wie es das Kino am besten kann. Verstehen eben nicht als auditives Vermögen, das auf Dialogzeilen angewiesen ist, sondern als visuelles und körperliches Können, das empfänglich ist für Bewegungen, Formen, Handlungen und die ganze Ausdruckskraft des Bildrepertoires der Gegenwart.


Da kommt dem Film auch die Besetzung unheimlich gut zupass: noch jede Figur wird auf irgendeine Weise unangenehm, ob schleimig (der Therapeut, gespielt von Alexander Scheer), spießig (die Eltern, Arnd Klawitter und Julika Jenkins) oder schlicht selbstbezogen (die Teenies um Wilson Gonzalez Ochsenknecht). Die Gesichter, ob fettig aufgequollen oder verbissen schmallippig, spiegeln etwas vom Hier und Jetzt, das selten so konsequent ins Bild gerückt wird wie hier.

AKIZ macht uns mit seinem Film nicht schlauer, aber reicher. Er hält das Erlebnis hoch in all seiner Ambivalenz, in all seiner ekligen, dumpfen, schnöseligen, grundverkehrten Wahrhaftigkeit. Unversehens kommt der Film so dem deutschen Fetisch der Verhaltenskontrolle nahe und entlarvt Fassaden, in vollem Bewusstsein der Künstlichkeit eines jeden Bildes. Aufklärung ohne Aufklärungsimpetus - und genau deshalb authentischer als so manch auf authentisch gebürstetes Dialog-Botschafts-Drama.


“Der Nachtmahr” entstand ohne Förderung für ein Mikro-Budget von 80.000 Euro. So sieht Kino aus, wie es deutsche Förder-Fernseh-Heinis nicht wollen, vor dem sie sich fürchten, weil sie es nicht verstehen. Ein Kino, wie es international Anklang findet und bei uns rausgedrängt wird aus dem System. Ein solches Kino darf unangenehm sein, weil es lebendig ist. Es kann gleichzeitig schmerzen und wunderbar intensiv sein. Das muss es sogar.


Von Frédéric Jaeger



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